
Darf ich meinen Arbeitsplatz vorzeitig verlassen?
Das vorzeitige Verlassen des Arbeitsplatzes ist eines der meist gesuchten Themen im Internet. Denn manchmal kann es sein, dass Beschäftigte den Arbeitsplatz vorzeitig verlassen müssen, da sie im Laufe des Arbeitstages erkranken, bzw. sich das Unwohlsein vom Morgen weiter verschlechtert. Oder es kommt ein Anruf von KiTa oder Schule – das Kind muss geholt werden. Und dann kommen Fragen auf…
Welche Rechte haben Beschäftigte in diesen Fällen? Darf der Arbeitsplatz verlassen werden? Was ist mit den restlichen Arbeitsstunden? Drohen hier Abmahnung oder sogar Kündigung?
Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Mir geht es nicht gut – darf ich meinen Arbeitsplatz vorzeitig verlassen?
Generell gilt: Beschäftigte müssen eine Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitgeber unverzüglich mitteilen. Somit sollten Sie sich bei Unwohlsein direkt bei den Vorgesetzten melden und diese informieren. Auch wenn Sie am Morgen noch zur Arbeit erschienen sind, darf der Arbeitgeber Ihnen das nicht negativ zur Last legen. Aber: Ein unentschuldigtes Verlassen des Arbeitsplatzes kann unter Umständen zur Abmahnung führen.
Was geschieht mit der fehlenden Arbeitszeit?
Die Stunden, die bis zum regulären Arbeitsende fehlen, müssen nicht nachgearbeitet werden. Der Tag zählt als gearbeitet. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung muss der Arzt also erst ab dem Folgetag ausstellen. Bei Schichtarbeit mit geplanten Zusatzschichten oder längeren Schichten müssen diese ebenfalls dem Zeitkonto gutgeschrieben werden. Betriebliche Regelungen, wonach Zeitschulden nur durch tatsächliche Arbeitsleistung abgegolten werden, verstoßen gegen das Lohnausfallprinzip des § 4 Abs. 1 EFZG.
Habe ich einen Anspruch auf die volle Vergütung für den angebrochenen Tag?
Ja! So entschied zum Beispiel das BAG in einem Urteil von 2003, dass ein Arbeitnehmer der während eines Arbeitstages erkrankt, Vergütung für den gesamten Arbeitstag gemäß § 611 BGB erhält. Auch ein Urteil des LAG Köln (4 Sa 290/17 vom 12.01.2018) bestätigt diese Rechtsauffassung.
Brauche ich einen Krankenschein?
Arbeitnehmende haben gesetzlich (§ 5 Entgeltfortzahlungsgesetz) die Möglichkeit, sich selbst bis zu 3 Tage (sogenannte „KO-Regelung“) ohne ärztliche Bescheinigung arbeitsunfähig krank zu melden. Diese Krankmeldung muss unverzüglich z. B. per Telefon erfolgen. Ab dem 4. Kalendertag ist dann ein Arzt aufzusuchen und de Arbeitgeber unverzüglich über die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit zu unterrichten.
Aber Achtung: Die Möglichkeit der KO-Regelung (Krankenschein erst ab dem 4. Kalendertag) kann in Unternehmen arbeitsvertraglich oder tarifvertraglich geregelt sein. Es ist immer der Einzelfall zu prüfen!
Eine Diagnose muss aber in keinem Fall mitgeteilt werden!
Hinweis für Betriebsräte: Wenn der Arbeitgeber eine AUB ab dem ersten Tag verlangen will, muss ersich im Rahmen der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates die Zustimmung des BR einholen (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG).
Der Arbeitgeber kann bei berechtigter Veranlassung eine AUB von einzelnen Mitarbeitern ab dem 1. Tag verlangen (BAG, Beschluss vom 15.11.2022, 1 ABR 5/22 ).
NEU: Seit Januar 2023 entfällt bei gesetzlich versicherten Arbeitnehmern die aus § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) resultierende Pflicht, dem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) in Papierform vorzulegen. Grundlage dafür ist der ergänzende Absatz 1a im § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz. Darin heißt es:
Absatz 1 Satz 2 bis 5 gilt nicht für Arbeitnehmer, die Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse sind. Diese sind verpflichtet, zu den in Absatz 1 Satz 2 bis 4 genannten Zeitpunkten das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer feststellen und sich eine ärztliche Bescheinigung nach Absatz 1 Satz 2 oder 4 aushändigen zu lassen. (…)
Daraus ergibt sich in der Theorie folgendes: Der Arzt stellt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur noch für die Beschäftigten aus und meldet die Arbeitsunfähigkeit digital an die Krankenkasse. Diese stellt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dann dem Arbeitgeber zum digitalen Abruf zur Verfügung. Arbeitgebende oder mit der Vollmacht beauftragte Personen müssen nun selbstständig die AU-Bescheinigungen abrufen. In der Praxis hindert die fehlende Technik oder schlechtes Internet viele Ärzte daran, die Meldung an die Krankenkasse vorzunehmen. In diesen Fällen erhält der Arbeitnehmer die AUB für denArbeitgeber weiterhin in Papierform.
Diese digitale Form gilt aber nur für gesetzlich versicherte Arbeitnehmer. Privat krankenversicherte Arbeitnehmer, geringfügig Beschäftigte in Privathaushalten oder gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer, deren Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt festgestellt wurde, der nicht an der vertragsärtzlichen Versorgung teilnimmt, müssen die AUB weiterhin in Papierform vorlegen.
Was ist bei Erkrankung des Kindes?
In diesem Fall können Sie den Arbeitsplatz unter Berufung auf § 616 BGB verlassen. Danach ist es Beschäftigten erlaubt, sich kurzzeitig („für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“) vom Arbeitsplatz zu entfernen, wenn dies unvermeidbar und unverschuldet ist. Der Anspruch auf Vergütung und die geplante Arbeitszeit bleibt bestehen, muss dann aber mit eventuellen Leistungen der Krankenkasse gegengerechnet werden. Natürlich müssen Sie auch in diesem Fall den/die Arbeitgeber:in über das vorzeitige Verlassen des Arbeitsplatzes informieren.
WICHTIG: Die Gültigkeit des § 616 BGB kann arbeits- oder tarifvertraglich ausgeschlossen sein. Erfragen Sie daher unbedingt die geltenden Bedingungen, bevor Sie den Arbeitsplatz verlassen.
Ist § 616 BGB ausgeschlossen, so kann bei sozialversicherungspflichtig Beschäftigten die Freistellung von der Arbeitsleistung aufgrund eines kranken Kindes nach § 45 Abs. 3 SGB V möglich sein. Dazu ist dann eine Bescheinigung eines Arztes notwendig. Diese muss zwingend ab dem ersten Tag vorgelegt werden. Andere Regelungen gelten beispielsweise für Beamte und den öffentlichen Dienst.
Darf ich den Arbeitsplatz zwischenzeitlich für einen Arztbesuch verlassen?
Ohne bestehenden Tarifvertrag regelt auch hier § 616 BGB das Verhalten. Ist der Arztbesuch dringend und medizinisch unvermeidlich – z. B. bei starken Schmerzen oder nüchterner Blutabnahme am Morgen, so dürfen Sie auch in diesem Fall den Arbeitsplatz verlassen – ohne Verlust Ihrer Ansprüche. Anders kann dies in Tarifverträgen geregelt sein. Nach Ansicht der Arbeitsgerichte haben Teilzeitkräfte allerdings die Möglichkeit, Arzttermine in ihre Freizeit zu legen. Aber auch hier kann es Ausnahmen geben.
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